Stimmen aus der Fakultät

Räume und Aufgaben im Schamanismus

Ein Gespräch mit David Vust,
Fakultätsmitglied FSSE (Teil 2 / 2)


An vielen Orten in Europa haben Seminare in der über 30-jährigen Geschichte der FSSE bereits eine lange Tradition. David, Du selbst bietest aktuell Seminare an fünf verschiedenen Standorten in Deutschland an. Außerdem bist Du in der Schweiz aufgewachsen, lebst aber bei Potsdam, nahe Berlin. Empfindest Du Unterschiede in der Arbeit mit den Geistern, wenn Du an unterschiedlichen Orten arbeitest?

Grundsätzlich ja. Schamanisch Praktizierende sind in verschiedenen Welten zu Hause, in der alltäglichen sowie in der nicht-alltäglichen Wirklichkeit. So könnte man auch die Schweiz, Ostdeutschland und Bayern als unterschiedliche „Welten“ sehen. Es gibt unterschiedliche Qualitäten. Diese würde ich allerdings weniger geographisch festmachen, sondern eher landschaftlich. Ich erlebe zum Beispiel keinen so großen Unterschied zwischen der Arbeit in München oder in Berlin, sondern eher je nachdem, ob ich mich in einer Stadt befinde, im Wald oder in den Bergen. Die Kräfte in den Bergen empfinde ich etwa naturgemäß als rauer und unmittelbarer.

Außerdem spielt der Seminarraum eine große Rolle. Jeder Raum bringt eine eigene Qualität mit sich, fast unabhängig davon, wo er sich befindet. Darum versuche ich – und das ist nicht immer ganz einfach – für meine Arbeit Räume zu finden, wo man sich wohl und geschützt fühlt. Gerade bei den ersten Seminaren scheint mir dies wichtig, damit sich die TeilnehmerInnen auf den Schamanismus einlassen können. Dafür sollten sie sich wohl und geborgen fühlen. Dazu trägt natürlich die Seminarleitung bei, aber eben auch der Raum und die Atmosphäre. Und das kann natürlich auch mit den umliegenden Kräften zusammenhängen.

 

Solche geborgenen Räume schaffst Du auch in Deinem Alltagsberuf. Du bist beratend und therapeutisch tätig. Inwieweit hilft Dir dabei Deine schamanische Praxis und wie kannst Du sie einsetzen?

Hier müssen wir ein wenig unterscheiden. Wenn ich meinem Beruf als Supervisor bzw. Heilpraktiker für Psychotherapie nachgehe, wende ich selbstverständlich keine schamanischen Techniken an, aus dem einfachen Grund, dass wir als schamanisch Praktizierende nur mit einem Auftrag arbeiten. Und ich habe von diesen Menschen, die mich aufsuchen, keinen schamanischen, sondern eben einen beraterischen oder therapeutischen Auftrag. Wenn ich als Heilpraktiker für Psychotherapie mit konventionellen Methoden arbeite und merke, dass Schamanismus hilfreich wäre und die Person dafür offen ist, dann kann ich das anbieten, um einen schamanischen Auftrag zu erhalten. Aber in meinem Hauptberuf als Supervisor wende ich keinesfalls solche Methoden an.

Ich würde mich generell davor hüten, unreflektiert überall Schamanismus zu betreiben. Das wäre nicht im Sinne der schamanischen Ethik. Wir sind in verschiedenen Rollen unterwegs. Manchmal bin ich als schamanisch Praktizierender tätig, manchmal als Supervisor. Und in diesen verschiedenen Rollen übernehme ich unterschiedliche Funktionen und Aufträge, die ich nicht miteinander vermische.

Nichtsdestotrotz hilft mir die schamanische Praxis durchaus, etwa um Selbstvertrauen im Prozess zu haben und in meine Intuition. Die Erfahrungen bei der schamanischen Arbeit führen dazu, dass ich immer mehr auf meine Intuition achte und diese Eindrücke beachte. Selbst wenn sie mir im ersten Moment befremdlich erscheinen, erweisen sie sich oft als treffend. Das hätte ich mich früher vielleicht nicht getraut.

 

Das neue Seminar „Schamanische Wege zu lokaler und globaler Veränderung“ thematisiert kollektive Anliegen und deren Bearbeitung in der alltäglichen Wirklichkeit, unterstützt durch Divination. Bei der Arbeit an einem kollektiven Thema sind oft viele Menschen beteiligt, die uns keinen expliziten schamanischen Auftrag geben. Wie geht man damit um?

Wenn es keinen konkreten Auftrag gibt, müssen wir genau auf die Situation schauen. Werde ich als Berater oder Moderator von einem Gemeinderat für ein kollektives Anliegen angefragt, haben die Menschen einen anderen Auftrag an mich. Sie fragen nicht nach einer spirituellen Dimension. Ich kann mich dennoch schamanisch vorbereiten. Dann habe ich selbst ein Anliegen, nämlich was ich selbst tun kann, um diese Aufgabe bestmöglich zu erfüllen. Genauso kann ich eine schamanische Reise unternehmen, um einen schwierigen Termin oder einen kreativen Prozess vorzubereiten.

Es kommt also auch hier auf die Rolle an, in der ich mich bewege. Wenn meine schamanischen Dienste nicht gefragt sind, würde ich bei der sogenannten Intuition bleiben und bei der eigenen Vorbereitung. Es besteht sonst die Gefahr, den Menschen etwas „unterzujubeln“, was sie nicht haben wollen.

Für mich war es bei dem genannten Seminar entscheidend, bei sich selbst anzufangen. Wie wirke ich als Person? Warum wirke ich so? Ich reflektiere, wie ich bis jetzt gehandelt habe und warum das nicht immer zum Erfolg geführt hat. Und das ist meistens in meiner Person und meinem Handeln begründet. Wäre ich beispielsweise an den Gemeinderat anders herangetreten, hätte ich vielleicht weniger Widerstand erzeugt. Das ist für mich schamanisches Arbeiten im Vorfeld.

 


Mit Deiner Arbeit hilfst Du Menschen in Krisensituationen. Auch die mitfühlenden Geister helfen uns in der Not, um Leid und Schmerz zu lindern. Was denkst Du über den Aspekt der „Not“?

Durch die Not oder durch das Leid werden die mitfühlenden Geister auf uns aufmerksam. Wenn der schamanisch Praktizierende Leid auf sich nimmt, weckt er die Aufmerksamkeit der Geister. Ein weiterer Aspekt, der leicht missverstanden werden kann, ist: In der Not sind Menschen empfänglich. Ein Trauerfall ist zum Beispiel zutiefst schmerzhaft und zeitgleich eine gesegnete Zeit, in der die Menschen sich auf das Wesentliche zurückbesinnen. Da merkt man, was ist entscheidend im Leben. Das sind Momente, die richtungsweisend sein können, in denen es sich lohnt, sich Gedanken zu machen, an sich zu arbeiten, sich zurück zu besinnen und Entscheidungen für sein weiteres Leben zu treffen.

Wenn die Krise vorbei ist und es uns wieder gut geht, schlafen wir meist wieder ein, wie im Schlaraffenland. Das kennen wir alle, diese wohlige Trance, in der wir uns über nichts Gedanken machen. Darum sind Krisen auch Momente, in denen wir wieder aufwachen und uns über die wesentlichen Dinge im Leben Gedanken machen. Eine Ambivalenz von Leid und Freud, von Schmerz und Schönheit. Momente der Not können sehr schöne und tiefe Momente der Begegnung und der Arbeit ermöglichen. Deswegen empfinde ich sie durchaus als schwierig, aber auch als besondere und gesegnete Momente.

David Vust ist Supervisor, Heilpraktiker für Psychotherapie und Fakultätsmitglied der Foundation for Shamanic Studies Europe.