Tagung

Die Heiligtümer der alten Gläubigen Sloweniens

Eine bedrohte Tradition

Es sind die natürlichen Heiligtümer des Soča-Tales, die für die alten Gläubigen Sloweniens eine zentrale Rolle spielten. Sie sind in einem Gebiet zu finden, in dem auch der erste Weltkrieg gewütet hatte. In den langen Jahren der Gefechte sind in diesem Gebiet elf Angriffe durchgeführt worden, zwischen dem Heer des Königreichs Italien auf dem rechten Ufer und dem Österreichisch-Ungarischen Heer, auf dem linken Ufer der Soča. Die Gesamtheit dieser Auseinandersetzungen hat nur winzige Bewegungen in die eine oder die andere Richtung gebracht. Sie haben aber hunderttausende junge Leben verlangt, auf beiden Seiten.

Noch bevor der bewaffnete Kampf angefangen hatte, wurde die Bevölkerung aus ihrer Heimat vertrieben und musste als Flüchtlinge leben. Auf diesem Wege sind einige in das italienische Umland gezogen, andere in das österreichisch-ungarische. Es handelte sich hier vor allem um den älteren Teil der Population, und die Kinder.

Für Christen wurde rasch gesorgt. Ihnen wurden Priester zugeteilt, die sich ihrer annahmen. Für die alten Gläubigen war die Flucht in die unbekannten Orte ein unbeschreibliches Trauma, das sich über lange Jahre hinweg gezogen hat. All ihre Heiligtümer, die geweihten Steine, Berggipfel, Bäume, Wasserquellen waren in neuer Umgebung unwiederbringlich verloren.

Diejenigen, die zu Hause zurückblieben, waren dem ständigen Beschuss wehrlos ausgeliefert. Viele haben, nachdem sie über längere Zeit hinweg dem Zureden und teilweise Zwang ausgeliefert waren, ihren Glauben aufgegeben. Jene, die dazu nicht bereit waren, wurden aus der Gesellschaft ausgeschlossen und als nicht anpassungsfähig, als gestört behandelt.

Das Ende des Krieges stoppte das Töten und die Gräueltaten und brachte den lang ersehnten Frieden. Für diejenigen, die aus dem Flüchtlingsleben zurückkehrten, begann damals jedoch großes Leid und Ungewissheit. Sie kehrten in komplett abgerissene Ortschaften zurück. Ihre Felder, Weiden und Wälder waren komplett zerstört. Sie mussten ihr Leben wieder von Null beginnen. Zuerst bauten sie Notunterkünfte. Um zu überleben, mussten sie unterschiedliche Werkzeuge erzeugen, die Felder bearbeiten und Samen aus den Orten anschaffen, die nicht vom Krieg verwüstet waren. Am schwierigsten war es, Vieh zu erlangen, da sie weder Geld noch Arbeit hatten.

Und wieder waren die alten Gläubigen besonders im Nachteil, vor allem wenn sie keinen Dehnar hatten, die spirituelle Führung / Leitung der jeweiligen Gemeinschaft. Aber auch sonst ist die Zahl der alten Gläubigen damals drastisch zurückgegangen, komplette Familien waren eine wahre Seltenheit. An der alten Lebensweise und dem Glauben haben letztlich nur unverheiratete Männer festgehalten. Von Jahr zu Jahr wurden sie weniger, sodass Ende des 20. Jahrhunderts nur noch einige zehn Einzelpersonen existierten, welche sich ohne Dehnar, also ohne eine Führung, durchschlagen mussten. Wenn Herr Janez Strgar nicht gewesen wäre, hätte sich die Gemeinschaft der alten Gläubigen in Slowenien sicherlich aufgelöst – und das ohne jegliche Spur.

Die Zeit nach dem Krieg hatte drastische gesellschaftlich-politische Änderungen zur Folge, auch und vor allem für die im Soča-Tal lebenden Slowenen. Nach dem Vertrag von Rapallo sollte die slowenische Küstenlandschaft zum Königreich Italien zugehören. Diejenigen, die nicht unter fremder Herrschaft leben wollten, emigrierten in das Königreich Jugoslawien, einige auch in andere Länder. Mit dem Aufstieg des Faschismus verschlimmerte sich die Lage zusätzlich. Alle slowenischen Schulen wurden abgeschafft, ebenso relevante Institute und Vereine. Die Verwendung slowenischer Sprache und Kultur im öffentlichen Leben wurde strengstens untersagt, etwaige Treffen wurden kontrolliert. Was nicht im Einklang mit der Doktrin stand, wurde auf brutale Weise bestraft – mit Folter in den Gefängnissen, Verbannungen oder Konzentrationslagern. Einflussreiche Personen wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt, einige wurden sogar hingerichtet. Die Folgen all dieser Repressalien waren auch bei den alten Gläubigen sichtbar: Sie isolierten sich noch stärker, agierten im Geheimen und wichen Fremden aus. Eine Kontaktaufnahme war nahezu unmöglich, wenn man nicht jemanden kannte, der einem das ermöglichen würde.

Janez Strgar

Ich bin noch heute Herrn Janez Strgar überaus dankbar, dass er genau dies tat.
Er hatte die Bitte des letzten Dehnars erhört und die verbleibende Gemeinschaft der alten Gläubigen vereint und geleitet. Er hatte zugleich in sich selbst genug Mut und Weisheit gefunden, um ganz bewusst den Schweigeeid zu brechen, der allen volljährigen Einzelpersonen in der Gemeinschaft der alten Gläubigen abverlangt wurde. Janez Strgar hat den Schwur deswegen gebrochen, damit zumindest ein Teil der Lebensweise der alten Gläubigen für die Nachkommen erhalten bliebe. Ansonsten wären die alten Gläubigen in Vergessenheit geraten, so als hätten sie nie gelebt.

In dieser besonderen Stimmung haben sich deren und mein Weg gekreuzt – ein Weg, den wir von Zeit zu Zeit zusammen gegangen sind. Damals haben sich Strgar und andere alte Gläubige dazu entschlossen, mir zu vertrauen und mit mir über ihren Glauben zu sprechen. Janez erklärte das mit den Worten: „Damit die anderen zumindest ein wenig darüber wissen werden, wie wir auf dieser kargen, jedoch heiligen Erde gelebt haben und geblieben sind.“

Von diesem Zeitpunkt an fanden sehr schnell zahlreiche Unterhaltungen mit all jenen statt, die sich wegen Strgars Ansehen damit einverstanden erklärten. Es gab jedoch auch einige, die dazu nur mit großem Widerwillen bereit waren, da sie davon überzeugt waren, dass der Schweigeeid nicht ohne Folgen gebrochen werden konnte.

Natürliche Heiligtümer

Trotz aller Hindernisse können wir heute über vieles sprechen, sogar über die Dinge, die am meisten geschützt waren – ihre Heiligtümer. Alle sind natürlich durch mehrere Jahrtausende entstanden. Sie wurden von natürlichen Phänomenen gebildet und geprägt, quer durch alle geologischen Perioden. Jedes Heiligtum ist eine unglaublich mystische und spirituelle Welt.

Alle haben sie eines gemeinsam: In ihnen wurden spezielle Rituale vollzogen, zu unterschiedlichen Jahreszeiten. Sämtliche Rituale wurden vom Dehnar geleitet, unterstützt von drei vereidigten Männern. Diese Rituale waren ein gut gehütetes Geheimnis, so dass auch heute noch nicht viel über sie bekannt ist.

Und dennoch, obwohl alle Sicherheitsmaßnahmen berücksichtigt wurden, sind Informationen an die Öffentlichkeit gekommen; mit der Folge, dass einige rituelle Stellen bereits vor dem ersten Weltkrieg bzw. danach vernichtet und rituelle Gegenstände veräußert wurden. All das konnte aber nicht bewirken, dass die Heiligtümer vollkommen verschwanden.

So wie jedes dieser Heiligtümer mit spezifischen Ritualen assoziiert war, zeichneten sie auch bestimmte heilige Steine, Bäume und andere Gegenstände bzw. Wesen aus. Es waren Orte, an denen Geister verehrt wurden, wie zum Beispiel Wasser-, Wald-, Unterwelt- oder Höhlengeister, und zahlreiche andere. Die Heiligtümer waren auf mehrere Welten verteilt, zum Beispiel auf die untere Welt, obere Welt, Überwelt, Nebenwelt, unsichtbare Welt, hintere Welt und andere.

Während der Sommer- und Winterwende fanden in den Heiligtümern besondere Zeremonien statt. Zu diesem Zeitpunkt waren Freudenfeuer im Heiligtum oder in seiner unmittelbaren Nähe unentbehrlich. Bei dieser Gelegenheit wurde mit dem lebendigen Freudenfeuer ein neues Feuer in allen Feuerstellen der alten Gläubigen gelegt. Die Heiligtümer waren Stellen, an denen sich die Leute rituell gewaschen haben, sich geheilt haben und wohin sie Gaben brachten – im Sinne einer Bitte oder als Zeichen des Dankes an einen der Geister, die dort lebten.

Ans Ende möchte ich einen Gedanken stellen, der damit verbunden ist, wie schwer es ist, jemanden zu finden, der einem etwas über dieses Themengebiet erzählen würde. Ich habe festgestellt, dass es nach dem zweiten Weltkrieg immer mehr Familien gab, bei denen alle drei Generationen nicht mehr zusammen gelebt haben. So war es für die jüngeren Generationen nicht mehr möglich, tagtäglich die Geschichten und Weisheiten aus der Vergangenheit aufzusaugen und sie so am Leben zu erhalten. Die Industrialisierung und die Kultur der Verbrauchergesellschaft haben die jungen Leute aus dem Tal gelockt, wo sie Arbeit gefunden haben. Gleichzeitig wurden dadurch die natürlichen Verbindungen zwischen den Generationen verhängnisvoll zerrissen – und sie sind spirituell verarmt.

Wenn ich heute all diesen spirituellen Reichtum, dass ich von hunderten Menschen bekommen habe, verlieren würde, würde ich einen Teil meiner Identität verlieren. Ich würde meine Wurzeln verlieren.

 

Weiterführende Literatur

Pavel Medvešček (2016): Iz nevidne strani neba: razkrite skrivnosti staroverstva. Ljubljana: Založba ZRC, ZRC SAZU

Übersetzung aus dem Slowenischen: Urška Madžarac

Pavel Medvešček war Journalist, Autor und Künstler. Er kam im Zuge von kulturgeschichtlichen Recherchen mit Vertretern der alten Gläubigen Sloweniens in Kontakt und galt als renommiertester Kenner dieser Tradition. Siehe auch den Artikel von Sara Sajovec über die alten Gläubigen Sloweniens.

Der Text basiert auf einem Vortrag im Rahmen der Veranstaltung „Schamanismus in Europa“, veranstaltet durch die FSSE, am 22.10.2017 im Haus der Musik Wien, Österreich.